Herausforderung Waste-to-Energy in Indien

Indien tut sich noch schwer mit Sammlung, Sortierung und TAB.

Der Subkontinent ächzt unter den Müllbergen der aufstrebenden Städte. Sammlung, Sortierung und thermische Abfallbehandlung wären die richtige Lösung – und ein riesiger Markt. Aber nur für Unternehmen mit langem Atem.

In den Backstreets von Delhi fegen die Müllkehrer den Abfall des Tages zusammen: Plastikfolien, Mangokerne, Straßendreck vermengt mit Papier und Blättern, die eben noch als Teller für Streetfood dienten. Der Abfall wird in Containern am Straßenrand gesammelt und mit kleinen Müllfahrzeugen zu Sammelplätzen gebracht. Und dann?

Sammlung, Trennung und Behandlung der immensen Mengen von Siedlungsabfällen in indischen Großstädten wie Neu-Delhi sind eine große Herausforderung. Seit Jahrzehnten steht das Thema auf der politischen Agenda. In den größeren Städten des Subkontinents leben 31 Prozent der Bevölkerung, und diese rund 265 Millionen Menschen verursachen 142.566 Tonnen Müll – pro Tag. Das Central Pollution Control Board (CPCB), das die Daten erhebt, geht davon aus, dass die Zahl in den nächsten Jahren weiter steigt. Waste-to-Energy – kurz WtE – wäre eine gute Lösung. Darum wurden seit 2010 fünf Demonstrationsanlagen gebaut, davon drei in der Hauptstadt Delhi.

Obststände in Indien.Theoretisch ist vieles gut in Indien

Zur Unterstützung wurde durch die deutsch-indische Arbeitsgruppe „Water and Waste Management & Circular Economy“ ein Erfahrungsaustausch initiiert, bei dem die Mitglieder der Gruppe im Dezember 2016 und zuletzt im Mai 2018 WtE-Anlagen in Delhi besucht haben. Zusätzlich wurde auch die im März 2017 in Betrieb genommene Anlage in Narela-Bawana besichtigt – laut der North Delhi Municipal Corporation mit einer Kapazität von 2.000 Tonnen pro Tag die größte Müllverbrennung in ganz Indien.

Auf dem Papier steht Indiens Abfallwirtschaft gar nicht schlecht da: Seit 2016 ist die Getrennthaltung von biologisch abbaubaren Abfällen, Bau- und Abbruchabfällen vorgeschrieben, auch das Ende der Deponierung von Siedlungsabfällen ist beschlossen: Abfälle mit einem Heizwert ab 1.500 kcal/ kg dürfen künftig nicht mehr abgelagert, sondern müssen in Verbrennungsanlagen oder Mitverbrennungsanlagen wie Zementöfen und Großfeuerungsanlagen verwertet werden. Für den Betrieb von Verbrennungsanlagen gibt es technische Vorgaben und Emissionsgrenzwerte, die sich an denen der EU orientieren.

Neben dem „Anreiz“ durch das Ordnungsrecht versucht die indische Regierung die WtE-Strategie auch durch einen Einspeisetarif für Strom aus den Anlagen zu forcieren. Seit 2015 gilt eine Vergütung von 7,90 Rupie pro kWh (~10 ct/kWh) Strom aus WtE-Anlagen.

Praktisch sieht es anders aus

In der Praxis werden Siedlungsabfälle aus Haushalten in der Regel vom sogenannten Informellen Abfallsektor, also privaten Auftragnehmern, zur städtischen Übergabestation transportiert. Die Sammlung erfolgt überwiegend mit Kleinmüllfahrzeugen, da die Zufahrt für größere Müllfahrzeuge in den sehr schmalen Straßen und Gassen des Sammelgebiets eingeschränkt ist. Eine Abfalltrennung war bei den Besuchen vor Ort oder an der Sammelstelle kaum zu sehen.

An den zumeist kommunal betriebenen Übergabestationen werden die Abfälle zum zweiten Mal durch „Sortierkräfte“ des informellen Abfallsektors manuell gesichtet, um etwaige Wertstoffe zu entnehmen und zu vermarkten.

Anschließend wird der Müll in kleinen und großen Pressmüllcontainern oder auch mit offenen Fahrzeugen, die teilweise mit Schaufelladern beladen werden, zur WtE-Anlage gefahren.

Die privaten Auftragnehmer werden dabei nach dem Gewicht der transportierten Abfälle bezahlt. Das Transportgewicht wird an der Eingangswaage der Anlagen bestimmt.

Müllhaufen in Indien. Schlechte Qualität der Abfälle

Die Abfälle sahen vor Ort so aus, als enthielten sie viele inerte mineralische Bau- und Abbruchabfälle. Müllanalysen haben aber eher einen hohen Anteil an biogenen Stoffen (70 bis 80 Prozent, viele Küchenabfälle) ergeben. Dazu kommen brennbare Stoffe wie Leder, Gummi oder Plastik (13 bis 18 Prozent) sowie Steine, Erde und Metall (8 bis 11 Prozent). Es entstand der Eindruck, dass die Heizwerte aufgrund der großen Mengen an teilweise nassen biogenen Abfällen und an Inertabfällen kaum den Auslegungsheizwerten einer Müllverbrennung entsprechen werden.

Mängel rund um die Anlagen

Auch indische Experten haben in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe klare Mängel in der WtE-Praxis festgestellt. Messungen haben bestätigt, was schon der Augenschein nahelegte: Der Müll in Delhi hat für die Anlagen zu wenig Heizwert. Dabei sollte der untere Nettoheizwert zu jeder Jahreszeit bei etwa 1.450 kcal/kg (6 MJ/kg) liegen.

In der Folge führen der hohe Anteil an Organik und mineralischer Fraktionen zu einem schlechten und unwirtschaftlichen Anlagenbetrieb. Wenn die Qualität des Abfall-Inputs nicht verbessert werden kann, müssen die Anlagen technisch angepasst werden.

Dazu kommt, dass die vorhandene Aufbereitungstechnik verschleiß- und störanfällig ist, weil die Wartung mangelhaft ist und die Mitarbeiter wenig Betriebserfahrung haben. So führten insbesondere Ausfälle der Vorbehandlungsanlage in Ghazipur zur Abschaltung der ganzen Anlage – die Abfälle mussten zwischenzeitlich wieder auf die Deponie gebracht werden.

Auch ist eine wirkungsvolle und dauerhafte Überwachung der Emissionen aus den WtE-Anlagen nicht gegeben, da beispielsweise kontinuierliche Emissionsmessungen nur bedingt oder nicht korrekt installiert sind.

Herausforderungen der Zukunft

WtE-Anlagen können in Indien eine Rolle im integrierten Abfallmanagementansatz spielen und sind vor Ort oft die einzig vernünftige Technologie, um die Deponierung – ob wild oder geregelt – zu verringern.

Aber man kann auch Tag für Tag erleben, dass WtE-Anlagen ein funktionierendes Abfallmanagementsystem für Sammlung, Transport und Anlieferung voraussetzen. Weder biogene noch mineralische Abfälle dürfen in großem Stil in die Anlagen gelangen.

Um Wirtschaftlichkeit zu erreichen, wäre außerdem eine finanzielle Unterstützung für die Investitionen in die Energieerzeugung nötig. Auch ist der Verkauf des gesamten Stroms zum Generaltarif ebenso wünschenswert wie eine an den Behandlungskosten orientierte Abfallgebühr. Sonst lassen sich WtE-Anlagen in Indien kaum rentabel betreiben.

Dazu kommt, dass der Standort der Anlage sich nach den logistischen Gegebenheiten des Sammelgebietes richten sollte. Eingehauste Anlagen helfen hier, die Emissionen aus der Abfallbehandlung am Standort zu senken und damit die Akzeptanz zu erhöhen. Dazu würden auch Transparenz in der Planung und eine laufende Kontrolle der Anlagen und Emissionen während des Betriebs beitragen.

Solche Empfehlungen werden nicht zum ersten Mal ausgesprochen. Doch sie werden nicht oder nur zögerlich umgesetzt. Das behindert nicht nur eine indische „Abfallwende“. Es ist auch fraglich, ob die seit 2012 errichteten Anlagen ihre erwartete Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren überhaupt erreichen werden.

Müllverarbeitung in Indien.Engagement ist mühsam – aber es lohnt sich

So wichtig eine funktionierende Abfallwirtschaft für Indien ist, so groß der potenzielle Markt auf dem Milliarden-Menschen-Subkontinent ist, so intensiv und so lange sich auch deutsche Ministerien, Einzelpersonen, Unternehmen und Verbände dort auch schon engagieren – der Weg bleibt lang. Und die Probleme werden durch den wachsenden Wohlstand in den Städten immer größer.

Der Blick von Indien nach Deutschland wiederum zeigt, wie weit entwickelt unsere eigene Kreislaufwirtschaft schon ist und wie viel die thermische Behandlung von Abfällen zum Klimaschutz beitragen kann: Würde man die heute weltweit jährlich deponierten rund 2 Milliarden Tonnen Abfall thermisch nutzen, ließen sich auch mehr als 2 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente durch vermiedene Methangas-Emissionen einsparen. Eine einfache Übertragung unserer Konzepte nach Indien funktioniert zwar offenkundig nicht. Aber die Expertise aus Europa kann helfen, dass der indische WtE-Sektor von unseren Betreibererfahrungen profitiert und sich hoffentlich schneller weiterentwickelt, als er es ohne diese Hilfe täte.

Autoren: Dipl.-Ing Jörn Franck (Freiberuflicher Berater, Hamburg) und Carsten Spohn (Geschäftsführer ITAD) engagieren sich neben ihrem Beruf seit vielen Jahren zusätzlich für das brennende Thema der Abfallwirtschaft in Indien. Zuletzt hatte das Bundesministerium für Umwelt Spohn und Franck als Experten ohne Bindung an einen einzelnen Anlagenhersteller um Mitarbeit gebeten. Zur rechtlichen Situation ausführlich in der Erstveröffentlichung zu diesem Beitrag: „Herausforderungen Waste-to-Energy in Indien“, Tagungsband der Berliner Abfallwirtschaftsund Energiekonferenz: Energie aus Abfall, Bd. 16, Thomé-Kozmienskiy Verlag GmbH.

aus: ITAD-Jahrbuch 2018.