Wir sehen uns als Vorreiter - ZMS Schwandorf

Geschäftsführer Thomas Knoll zur größten Investition in der Geschichte des Unternehmens.

ZMS_Portrait_11-MIN.jpgBeim Zweckverband Müllverwertung Schwandorf (ZMS) steht die größte Investition in der Geschichte des Unternehmens an. Geschäftsführer Thomas Knoll über die Bedeutung der thermischen Verwertung als wichtiger Energielieferant für die Industrie am Standort, den komplizierten Eingriff in den laufenden Betrieb und die Reaktion der Öffentlichkeit. Mit Investitionen von rund 180 Millionen Euro ist es die größte Investitione in der Geschichte des ZMS. Da in den kommenden Jahren viele TAB erneuert werden müssen, verfolgt die Branche das Projekt gespannt.

Der ZMS plant den Ersatz von drei Verbrennungslinien. Die Sanierung kommt fast dem Neubau der ganzen Anlage gleich. Was ist der Anlass?

Drei unserer vier Verbrennungslinien sind schon 1982 in Betrieb gegangen. Nach 40 Jahren Dauerbetrieb sind sie nun einfach an ihrem betriebswirtschaftlichen und technischen Ende angekommen. Die Wartungs- und Reparaturarbeiten nehmen immer mehr Zeit in Anspruch. Wir müssen die alten Linien ersetzen, um die Entsorgungssicherheit für unser Verbands- gebiet und um die Produktion von Dampf für die benachbarten Betriebe weiter sicherzustellen. Unser Energie-Output ist ein Standortfaktor für die Industrie am Ort.

Das Projekt heißt „Triphönix“. Warum?

Die Anlagen sollen nach ihrem Lebensende umso strahlender und schöner wieder auferstehen – wie der mythische Vogel. Wir sehen uns damit auch als Vorreiter für die Anlagen, die in ganz Deutschland in den nächsten Jahren ihre Altersgrenze erreichen.

Wie ist der Zeitplan?

Wir starten aktuell mit der Planung für eine neue Rauchgasreinigung und wollen die Erneuerung Schritt für Schritt bis 2028 abschließen.

Was ist technisch geplant?

Der Prozess ist komplex. Wir beginnen mit der Ertüchtigung der Rauchgasreinigung der Ofenlinie vier. Die Anbackungen dort führen heute dazu, dass wir sie zweimal im Jahr abstellen müssen – und damit natürlich auch die Verbrennungslinie. Die neue Rauchgasreinigung benötigt dann nur noch eine Wartung pro Jahr. Damit gewinnen wir zwei bis drei Betriebswochen pro Jahr für die Linie 4.

Wie geht es nach dem Austausch der Rauchgasreinigung weiter?

Wenn das erledigt ist, widmen wir uns dem Kernprojekt: der Entfernung von zunächst zwei Kesseln und dem Einbau eines neuen Kessels. Erst danach wird der dritte alte Kessel herausgenommen und ein weiterer neuer Kessel eingebaut – jeweils komplett mit neuer Rauchgasreinigung. Nur die Stufen der Rauchgasreinigung hinter dem Gewebefilter bleiben bestehen. Was wird das kosten?

Das ist bei den gegenwärtigen Bau- preisen schwierig zu sagen. Unsere Vorauskalkulation beläuft sich auf 180 Millionen Euro für das Gesamtprojekt. Genaues wird man erst nach den Ausschreibungen wissen.

Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen einem Kessel Baujahr 1982 und einem Kessel Planungsjahr 2021?

Wir haben einen etwas exotischen Kesseltyp, einen so genannten Tailend- oder Dackelkessel. Der Grund ist, dass wir sehr wenig Platz haben. Des- halb ersetzen wir die drei bestehenden Kessel durch nur zwei neue Kessel, die dann deutlich höher sind, eine andere Kesselraumgeometrie haben und auch der Rost, den wir einbauen werden, wird eine Weiterentwicklung sein. Die ersten Kessel, die wir in den 1980er Jahren eingebaut haben, waren auf einen Heizwert von 7.900 Kilojoule pro Kilogramm (kJ/kg) ausgelegt. Hier haben wir mit einer Wasserkühlung im ersten Drittel des Rostes nachgerüstet. Der Müll hat aber inzwischen einen Heizwert knapp über 11.000 kJ/kg. Darauf wird der neue Rost ausgelegt.

Gibt es heute neue Konzepte zur Auslegung?

Im Wesentlichen werden die neuen Kessel so ausgelegt werden, dass man damit mindestens zwölf Monate am Stück durchfahren kann. Das ist bei den jetzigen Kesseln nicht möglich. Da müssen wir alle 26 bis 28 Wochen abschalten. Mit nur einer Revision pro Jahr steigern wir die Durchlaufleistung der Anlage deutlich.

ZMS_Schwandorf_Gesamtansicht_095_min.jpgSie erneuern den Kessel im laufenden Betrieb. Wie geht das?

Das wird die große Herausforderung sein. Wir können aus Gründen der Entsorgungssicherheit die Anlage nicht komplett abstellen. Das wäre nicht möglich, weil wir die Müllmengen mit 450.000 Tonnen, die wir hier entsorgen, auf dem Markt kaum unterbringen können. Während der Bauarbeiten der Linien 1 und 2 sollen die beiden verbleibenden Linien daher möglichst störungsfrei weiterlaufen. Wenn der neue Kessel in Betrieb ist, ist die Entsorgungssituation wieder in etwa abgedeckt. Eine der großen Herausforderungen wird für uns dann die Statik im Kesselgebäude sein. Die neuen Kessel haben ein ganz anderes Gewicht, weil sie größer und höher sind. Wir werden also zunächst im Kesselhaus bestimmte Stützen und Einrichtungen bauen müssen, damit die Kessel statisch sicher in die Anlage integriert werden können.

Wie wird sich der Durchsatz ändern?

Der Durchsatz wird weiterhin durch den Heizwert der Materialien bestimmt. Wir gehen davon aus, dass der Heizwert nicht über 11.000 kJ/kg ansteigt. Bei einem stündlichen Durchsatz von 28 Tonnen steigt die gegenwärtige Durchsatzleistung von rund 450.000 Jahrestonnen im praktischen Betrieb auf etwa 510.000 bis 520.000 Tonnen an.

Die Sie dann auch ausnutzen wollen?

Die wollen wir nicht ausnutzen, die müssen wir ausnutzen. Wir waren in den letzten Jahren immer mehr als ausgelastet und mussten oft die Hilfe unserer benachbarten Müllverbrennungsanlagen oder die Hilfe von Anlagen in der ganzen Bundesrepublik in Anspruch nehmen, um die hereinstehenden Müllmengen auch zu bewältigen. Wenn wir den im Verband wirklich anfallenden Haus-, Sperr- und Gewerbemüll nicht durch halb Deutschland fahren wollen, ist diese Kapazität dringend notwendig.

Wie ändern sich die Umweltauswirkungen und Emissionen in der künftigen Anlage?

Wir haben der Bevölkerung zugesichert, dass wir die beste verfügbare Technik einbauen. Wir werden ein besonderes Augenmerk auf den Staub legen, indem wir weiter mit ungefähr 0,1 Milligramm Staub je Kubikmeter fahren. Natürlich wird die Jahresfracht höher, wenn wir etwas mehr Müll verbrennen. Aber wir sind sehr weit von den Grenzwerten weg, sodass für die benachbarten Bereiche keine Belästigung, geschweige denn eine Gesundheitsgefährdung, eintreten wird. Was man nicht vergessen darf: Wir werden auch etwas mehr Energie für die Fernwärme und die Produktionsbetriebe in der Nachbarschaft haben. Das wird das Luftklima verbessern, weil dort auf die Ölfeuerung verzichtet wird.

Steigt durch den höheren Heizwert die Energieausspeisung überproportional?

Davon gehen wir aus. Und die Energie wird gebraucht. Wir versorgen zunächst mal einen Industriebetrieb mit Prozessdampf in zwei Druckstufen, 72 bar Hochdruckdampf und 6 bar Prozessdampf. Wir haben in den letzten Jahren aber auch die Fernwärmeauskopplung deutlich aus- geweitet. Inzwischen können wir bis zu 36 Megawatt Fernwärme für die städtische Fernwärmeversorgung auskoppeln. Wir sind mit kleineren Projekten in die Elektromobilität eingestiegen und auch Wasserstoff und Dekarbonisierung sind heiße Themen. Denn der chemische Betrieb, den wir versorgen, wird seine Prozesse früher oder später elektrifizieren oder eben den gegenwärtigen Brennstoff Erdgas durch Wasserstoff ersetzen. Dann werden wir über einen Elektrolyseur für die Produktion von Wasserstoff nachdenken.

Sind Sie ein Standortfaktor für die Nachbarbetriebe?

Ja, absolut.

Inwiefern?

Wir produzieren sehr kostengünstige Energie und führen den Dampf zum Teil durch direkte Leitungen in den benachbarten Betrieb. Der Prozessdampf ist im Vergleich zur erdölbasierten, kohlebasierten oder erdgasbasierten Wärme immer noch deutlich günstiger. Dass wir zu 50 % erneuerbaren Strom liefern, ist auch ein Argument für die großen Automobilwerke und Automobilzulieferbetriebe. Die legen großen Wert darauf, dass sie als Teil der Lieferkette gerade für die Automobilindustrie mit Strom produzieren, der CO2-neutral ist.

Was macht Sie so sicher, dass Sie auch in 30 Jahren noch genug Abfall-Input bekommen?

Wir haben vor zwei Jahren – also noch vor Corona – extreme Probleme gehabt, die Müllmengen aus dem Verbandsgebiet tatsächlich zu verarbeiten. Wir waren jedes Mal am Freitag um 16 Uhr, wenn die Tore geschlossen haben, froh, dass kein Müll mehr kam. Unser Bunker war kein Bunker mehr, sondern ein Hochregallager. Selbst in der Entladehalle lag teilweise Müll. Wir sind froh, wenn wir durch die erweiterten Kapazitäten das bereits jetzt vorhandene Material bewältigen können. Und eine kleine Reserve schadet nicht, weil man sieht, wie schnell Katastrophen, etwa durch Corona, hereinbrechen können.

ZMS_Schwandorf_084-min.jpgWas erwarten Sie für die Zukunft?

Wir werden sehen, wie sich die Situation in den nächsten Jahren entwickelt. Man hat uns auch beim Bau der Ofenlinie 4 gesagt, dass sie nicht ausgelastet sein wird. Aber es ist immer anders gekommen. Wir haben eine weiter steigende Bevölkerung im Verbandsgebiet. Wir haben eine weiter sehr prosperierende Wirtschaft, vor allem im Produktionsbereich. Und wir sehen natürlich auch, dass die Kollegen ringsum Anlagen haben, die inzwischen alt sind. Es wird sich dann für den einen oder anderen Kreis die Frage stellen, ob er alle seine Kessel erneuert oder die Mengen zu uns bringt. Schon früher wurden in Bayern zwei Müllkraftwerke geschlossen, die betriebswirtschaftlich nicht mehr zu führen waren. Aber das sind Themen, über die wir erst in fünf bis zehn Jahren reden müssen.

Wann muss der jüngste Ofen, die Linie 4, erneuert werden?

Beim Kessel 4 wird in zehn Jahren die Entscheidung anstehen, ob wir den erneuern oder rückbauen, wenn die Müll- mengen wirklich deutlich rückläufig sein sollten. Wir haben alle Optionen, um auf veränderte Müllmengen zu reagieren.

Wie reagieren Bürger und Politik im Kreis auf die Pläne?

Es ist ganz seltsam. Die unmittelbare Nachbarschaft reagiert eigentlich sehr positiv. Das hängt damit zusammen, dass wir in der Nachbarschaft die Werkswohnungen des früheren Braunkohlekraftwerks an unserem Standort haben und dass diese Menschen sich mit der Kraftwerkstechnik identifizieren. Wenn es dann etwas weiter weggeht, nimmt die Kritik durchaus zu. In einem Abstand von 15 Kilometern ist man dann schon neutral und im Entsorgungsgebiet außerhalb unseres Landkreises ist man froh, dass hier ausgebaut wird. Da geht es um die Entsorgungssicherheit der eigenen Bevölkerung und der eigenen Betriebe.

Was sagen die 17 Verbandsmitglieder?

16 sind komplett begeistert und das siebzehnte, die Standortgemeinde, hat natürlich Bedenken. Die Sorge ist, dass man noch mehr Müll anzieht und damit auch mehr Transportverkehr nach Schwandorf kommt. Diese Befürchtung ist zum Glück unbegründet, denn wir bekommen bereits jetzt 80 % unserer Müllanlieferungen über die Schiene und der Anteil könnte sich in Zukunft noch erhöhen. Diese Transporte bemerkt man in Schwandorf praktisch nicht. Für uns ist es entscheidend, dass wir in den nächsten Jahren sehr offen, transparent und professionell gegenüber unseren Nachbarn und der Politik kommunizieren. Wir werden Ausstellungen zu den geplanten Baumaßnahmen machen und eine Projekthomepage aufbauen. Ich bin mir sicher, dass wir dann alle mitnehmen können, die sich für die thermische Verwertung in Schwandorf interessieren.

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aus: ITAD-Jahrbuch 2020
Interview: Marcus Franken, Ahnen&Enkel
Fotos: Silke Reents, ZMS, Ahnen&Enkel