„Müllverbrennung wird auch langfristig Teil der Abfallwirtschaft sein“ - Dr. Regina Dube
Regina Dube ist seit vergangenem Jahr verantwortlich für die Abteilung „Wasserwirtschaft und Ressourcenschutz“ im Bundesumweltministerium (BMU). Ein Gespräch über die Grenzen des Recyclings und die Rolle der thermischen Verwertung: heute in Asien und 2050 in Deutschland.
Frau Dube, Sie sind von der Hamburger Umweltbehörde als Leiterin zur Abteilung „Wasserwirtschaft, Ressourcenschutz” (WR) im Bundesumweltministerium gewechselt. Was war für Sie die größte Veränderung?
Drei Punkte: Persönlich die räumlichen Veränderungen von Hamburg nach Berlin und Bonn, an die beiden Sitze des BMU. Professionell der Perspektivwechsel von der Landessituation auf die größeren Sachzusammenhänge der Bundespolitik. Und fachlich der Wechsel vom Immissionsschutz zur Wasser- und Abfallwirtschaft sowie zum Ressourcenschutz.
Hilft Ihnen die Erfahrung in einer Landesbehörde dabei, Gesetze nicht nur zu machen, sondern auch zu wissen, wo es in der Umsetzung hakt?
Ganz sicher. Man denkt automatisch mit, dass die Überwachung und der Vollzug eines Gesetzes mit nachvollziehbarem Aufwand machbar sein muss. Ob Wasser- oder Abfallrecht, vor Ort haben die Behörden immer nur ein begrenztes Potenzial an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Welche Stakeholder standen bei Ihnen nach dem Amtsantritt ganz oben auf der Kennenlernliste?
Wenn Sie so wollen: meine eigenen Kolleginnen und Kollegen. Und natürlich kommen dann zuerst die bundesweit agierenden Verbände. Aber überschätzen Sie die Systematik dahinter nicht: Vieles ergibt sich auch aus den Aktualitäten des Tagesgeschäfts.
Haben Sie eigene abfallwirtschaftliche Ziele mit ins Amt gebracht?
Nein. Meine Herangehensweise war eher so, zunächst die Themen, Menschen und Prozesse in meiner Abteilung im BMU kennenzulernen. Daraus ergaben sich die Gestaltungsmöglichkeiten und Prioritäten von alleine. In der Zwischenzeit habe ich natürlich zu wichtigen Themen eine klare Haltung.
In der Abfallwirtschaft gilt seit den Neunzigerjahren die gesetzliche Hierarchie Vermeiden – Verwerten – Entsorgen. Angesichts von Schlagzeilen wie „Die Recyclinglüge“ im Spiegel und weiter hohen Müllmengen könnte man glauben, der schöne Ansatz sei gescheitert. Wie wollen Sie das ändern?
Beispiel Verpackung: Viele Menschen haben beim privaten Einkaufen das Gefühl, es ist zu viel geworden. Und die Meeresvermüllung hat in der Öffentlichkeit zu einer massiven emotionalen Besetzung des Themas Plastikmüll geführt – zu Recht. Obwohl das neue Verpackungsgesetz erst Anfang 2019 in Kraft getreten ist, hat es schon jetzt viel im Hintergrund geändert. Und es enthält sehr ehrgeizige Vorgaben für das stoffliche Recycling. Wir hören nach den Jahren der freiwilligen Vereinbarungen auch aus der Wirtschaft wieder den Ruf nach einem starken Staat, der bestimmte Sachen normiert. Vielleicht müssen wir also restriktiver werden. Aufgrund der europarechtlichen Vorgaben können wir jedoch Verpackungen nicht so einfach verbieten. Darum hat die Ministerin einen „5-Punkte-Plan“ gegen die Wegwerfgesellschaft und für mehr Recycling vorgestellt, der auch das Verpackungsgesetz flankiert. Da stehen Vermeidung und Verwertung im Vordergrund.
Strenge Vorgaben geben noch keine Antwort auf die Frage, was man mit dem aufbereiteten Material anfangen soll.
Für echte Kreisläufe brauchen wir gute Produkte mit hohen Recyclatgehalten, den Produkten des Recyclings. Hier müssen wir einen Markt schaffen – und
da gibt es ganz unbestreitbar Lücken. Aber am Anfang steht die Abfallvermeidung. Umweltministerin Svenja Schulze arbeitet zusammen mit dem Handel daran, unnötige Verpackungen aus den Supermärkten zu verdrängen. Und ich bin sicher, dass wir Ende 2019 schon deutlich weniger Verpackungen in den Läden sehen werden.
Stand heute: Werfen Sie angesichts der niedrigen Quoten für stoffliches Recycling Ihre Kunststoffverpackungen zu Hause noch mit voller Überzeugung in die Gelbe Tonne? Oder denken Sie sich: Die Restmülltonne täte es auch?
Ich bin eine große Verfechterin der Mülltrennung und mache das auch persönlich. Aber die Frage bringt mich wieder zu meinem Punkt: Wir müssen nicht nur sammeln und trennen, sondern auch dafür sorgen, dass mehr Recyclate nachgefragt werden. Dazu will Umweltministerin Schulze eine Recyclat-Initiative auf den Weg bringen. Wir reden mit allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette, um Hemmnisse beim Einsatz von Recyclaten auch außerhalb des Verpackungsbereichs zu beseitigen. Wir brauchen ein Recyclat-freundliches Design, Standards sowie technische Innovationen. Und am Ende müssen wir auch fragen, ob unsere Kunststoffe wieder einfacher werden müssen, um Kreisläufe überhaupt zu ermöglichen. Trotzt aller objektiv schwierigen Fragen von der Schadstoff-Mitschleppung bis zur Akzeptanz der Verbraucher: Ich bin optimistisch. Da passiert im Moment unglaublich viel.
Woher nehmen Sie nach mehr als 20 Jahren Verpackungsgesetz den Optimismus, dass man zu einer echten Kreislaufwirtschaft mit Kunststoffen kommt?
Wir sind heute an einem Punkt, an dem viele Innovationen entstehen. Die Vermüllung der Meere hat für viele Menschen das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Motivation für Veränderungen ist da.
Der Fokus auf die Vermüllung der Meere ist für deutsche Konsumenten bequem. Schließlich liegt das Problem meist auf wilden Müllkippen in Asien.
Das stimmt. Aber wir in Deutschland haben den Lifestyle und durch unsere großen Kunststoffhersteller auch die Kunststoffe exportiert. Was wir nicht exportiert haben, ist die dazugehörige Kreislaufwirtschaft. Darum tragen wir hier Verantwortung, auch unter Klima- und Ressourcengesichtspunkten. Im Moment werden diese Themen rasant nach oben getragen. Das macht mich optimistisch. Dieses Momentum hat auch der EU-Abfallrahmenrichtlinie, der europäischen Kunststoffstrategie und der EU-Richtlinie zu Single Use Plastic den Weg geebnet.
Sind Sie mit den sehr langen Übergangsfristen für Deponien in Europa glücklich?
Das Verbot zur Ablagerung von unbehandeltem Hausmüll hätten wir uns schneller gewünscht – auf jeden Fall. Denn das Ablagerungsverbot ist genau das, was auch in Deutschland die Durchbrüche in der Abfallwirtschaft und auch im Klimaschutz gebracht hat. Aber niemand bestreitet, dass der Zug der Zeit in die richtige Richtung geht. Und bitte vergessen Sie nicht, mit welchen Übergangsfristen einst die TA Siedlungsabfall ausgestattet war. Das war eine ähnliche Größenordnung. Ich hoffe, dass am Ende der Ausstieg aus der Deponierung von unbehandelten Siedlungsabfällen in Europa schneller gehen wird.
Auch Staatssekretär Flasbarth machte anlässlich des UN-Kongresses in Kenia die schlechten Deponien in Afrika und Asien für die Plastikvermüllung der Meere mitverantwortlich. Thermische Verwertung wäre eine realistische Lösung. Aber das Wort kam Flasbarth nicht über die Lippen. Müsste die Bundesregierung sich nicht offensiver für diese Technik einsetzen?
Müllverbrennungsanlagen spielen in einer sinnvollen Kreislaufwirtschaft eine wichtige Rolle. Aber sie sind kein Allheilmittel. Gerade in Asien und Afrika fehlt ja nicht nur eine „Kreislaufwirtschaft“, sondern es fehlen oft die grundlegenden Entsorgungsstrukturen. Da müssen wir ansetzen und das geht nur kooperativ. Umweltministerin Schulze hat dem BMU im Bundeshaushalt 50 Millionen Euro gesichert und die werden wir nutzen, um Partnerländer beim Aufbau einer Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Die Müllverbrennung wird auch da sicherlich eine wichtige Rolle spielen. Aber die Müllverbrennung mit ihren Möglichkeiten zur energetischen Nutzung und zur Schadstoffausschleusung macht technisch, organisatorisch und finanziell nur als Teil einer funktionierenden, kreislauforientierten Abfallwirtschaft Sinn.
Wie geht man das an?
Auch durch Know-how-Export, wie es die ITAD macht. Ich finde es großartig, welches Engagement ITAD in Indien leistet. Gerade da kann man doch sehen, dass solche komplexen Prozesse wie eine Müllverbrennung auf ausgebildetes Personal, Wissen über die Refinanzierung und Schadstoffmonitoring angewiesen sind, um nur einige Aspekte zu nennen. Das Know-how aus Deutschland in die Welt zu tragen, ist sehr begrüßenswert und ich bin Herrn Spohn dankbar, dass er mit großer Klarheit eine Schwachstellenanalyse einiger Müllverbrennungsanlagen in Indien erarbeitet und auch hochrangigen indischen Beamten vorgetragen hat. Dabei hat er mit Kritik nicht gespart, aber auch konstruktive Lösungswege aufgezeigt. Das war keine einfache Sache, aber die Resonanz ist sehr positiv.
Sehen Sie die thermischen Verfahren als dauerhaften Pfeiler der Kreislaufwirtschaft oder als Brückentechnologie mit dem Ziel, die letzte Anlage beispielsweise 2050 abzustellen?
Ich glaube, dass wir auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft daran arbeiten müssen, auch in Deutschland noch mehr zu recyceln und weniger zu verbrennen. Aber ich glaube nicht, dass die letzte Anlage 2050 abgestellt wird. Auch wegen der notwendigen Schadstoffausschleusung wird es bei uns immer die Notwendigkeit geben, bestimmte Stoffströme in die Verbrennung zu geben. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass die aufwendige Abfallverbrennung den finanziellen Anreiz für das Recycling schafft. Die Müllverbrennung muss sich doch schon lange nicht mehr als Schmuddeltechnologie in die Ecke stellen lassen. Es war ein großer Erfolg, die Müllverbrennung mit hohen technischen Standards hoffähig zu machen.
Nach dem Megathema Schadstoffe der Nuller-Jahre kommen jetzt die Anforderungen durch Klimaschutz und Energiewende. Wie muss eine Müllverbrennung 2050 aussehen, um in die Dekarbonisierungs- und Energiewendewelt zu passen?
Es ist in Deutschland inzwischen selbstverständlich, dass Fernwärme und Strom erzeugt werden. Aber nun kommt noch die Frage auf die Müllverbrennung zu, welchen Teil sie zu den CO2-Emissionen beträgt. Das wird spätestens dann virulent, wenn durch die Abschaltung der Kohlekraftwerke der Anteil der Müllverbrennung an den CO2-Emissionen steigt. Hier wird es weitere Innovationen geben müssen.
Was muss ITAD machen, damit die Stimme der Branche im BMU weiter gehört wird?
Ich empfinde die Kooperation mit der ITAD als ausgesprochen angenehm und sehe keinen Grund, etwas Grundlegendes zu ändern. Der Verband versucht, die Müllverbrennung in eine moderne und ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft einzubinden. Hier weiterzumachen und vielleicht noch innovativer zu werden – das wäre mein Wunsch. Außerdem kann die ITAD unser gemeinsames Anliegen sehr unterstützen, die Kreislaufwirtschaft auch im Ausland voranzubringen, indem die Mitglieder des Verbandes helfen, dort Kompetenzen aufzubauen. Wir alle wissen, dass das ein langer und steiniger Weg ist. Darum brauchen wir Fachleute mit dem nötigen Weitblick und der Fähigkeit, sich in den jeweiligen Entwicklungsstand eines Landes hineinzuversetzen. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch in Deutschland in den Siebzigerjahren damit begonnen haben, den technischen Umweltschutz massiv voranzutreiben. Es wird also langwierig sein, auch international zu einer funktionalen Kreislaufwirtschaft zu kommen, aber es ist den Schweiß der Edlen wert.
Zur Person: Ministerialdirektorin Dr. Regina Dube leitet seit Juli 2018 die Abteilung „Wasserwirtschaft, Ressourcenschutz“ (WR) im Bundesumweltministerium (BMU) und hat damit Dr. Helge Wendenburg (65) abgelöst. Dube hat von 1976 bis 1982 Umwelttechnik in Berlin studiert – unter anderem beim Professor für Abfallwirtschaft Karl J. Thomé-Kozmiensky. Promoviert hat sie zu städtischen Umweltthemen in Indien, ihre ersten Berufsjahre absolvierte sie in verschiedenen Positionen in der Hamburger Umweltbehörde. Zwischen 2008 und 2015 leitete sie in Indien Projekte zur kommunalen Abfallwirtschaft und Abwasserentsorgung für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Zurück in Deutschland stand sie bis zu ihrem Wechsel ins BMU dem Amt für Immissionsschutz und Betriebe in der Hamburger Umweltbehörde vor.
Frühjahr 2019, aus ITAD-Jahrbuch 2018.