„Verbrenner werden zu Versorgern“ - Dr. Jochen Hoffmeister
Jochen Hoffmeister beschäftigt seit sich seit bald 30 Jahren mit der thermischen Abfallbehandlung. Hoffmeister ist Leiter des Standortes Düsseldorf der Prognos AG und hat alle Debatten um Mengen, Anlagen, neue Verfahren und Emissionen erlebt. Seine Einschätzung zum Thema Klimaschutz und CO₂-Einsparung durch TAB: „Die Branche muss ihre Argumente vortragen und zeigen, dass sie sich dem Thema stellt.“
Herr Dr. Hoffmeister, wie ändern sich Abfallströme und -märkte bis 2040?
Ich sehe zwei gegenläufige Trends, die wir 2020 in der Roadmap TAB 2040 im Auftrag der ITAD dargelegt haben. Durch demografische und wirtschaftliche Entwicklungen werden die Siedlungsabfallmengen bis 2040 um etwa 2,5 Millionen Tonnen steigen. Zugleich ändern sich gesetzliche Vorgaben, z.B. bei Recyclingquoten, der Bioabfallerfassung oder der Gewerbeabfallentsorgung, was die Mengen um 6,3 Millionen Tonnen mindern wird.
Bleiben 4 Millionen Tonnen Minus. Werden Anlagen schließen?
Nein, denn andere Ströme wachsen. Dazu gehören Abfälle aus der Umsetzung der POP-Verordnung, der Klärschlammverordnung oder aus der Aufbereitung von Bau- und Abbruchabfällen. Das heißt, dass auch in 20 Jahren die TAB in Deutschland ausgelastet sein werden. Über Müllvermeidung und Zero Waste wird zwar viel gesprochen. Tatsache aber ist, dass in den vergangenen 30 Jahren die Abfallmenge pro Kopf nahezu gleich geblieben ist.
Durch Corona entstand noch mehr Müll. War das kritisch?
Corona brachte vorübergehend zehn bis 15 Prozent mehr Haushaltsabfälle, weil die Menschen im Homeoffice saßen und die Gastronomie geschlossen war. Die TAB in Deutschland konnten diese Zusatzmengen trotz Vollauslastung durch Optimierung entsorgen. Vor allem hat die Pandemie gezeigt, wie wichtig die Verbrennungsanlagen für die Hygienisierung unserer Abfälle sind. Das vergisst man oft.
Was bedeuten die veränderten Abfallströme für die CO₂-Emissionen der TAB?
Setzt die Politik ihre Pläne für höhere Recyclingquoten durch, werden weniger Kunststoffe in der Verbrennung landen. Dadurch sinkt der Anteil der fossilen CO₂-Emissionen. Interessant wird sein, wie sich neue Wege wie das chemische Recycling bemerkbar machen. Da gibt es im Moment eine regelrechte Euphorie. Ich bin allerdings vorsichtig geworden. Auch in der Vergangenheit gab es immer mal wieder eine große Begeisterung für bestimmte Behandlungsverfahren. Die Hoffnungen haben sich nie erfüllt.
Gegen mehr Kunststoffrecycling ist aus Sicht der TAB nichts einzuwenden?
Das Schließen von Stoffkreisläufen bei Kunststoffen ist für den Ressourcenschutz in der Regel besser als eine thermische Behandlung. Bis 2040 werden laut unserer Prognose etwa 4 Millionen Tonnen mehr Siedlungsabfälle stofflich verwertet,
zugleich aber wächst die Menge der Sortierreste, die bei allen bekannten Recyclingverfahren einen nicht unerheblichen Anteil ausmachen. Gegen Recycling spricht auch deshalb nichts, weil die TAB künftig Kapazitäten für andere Stoffströme braucht. Mit dem Kohleausstieg fallen Konkurrenten auf dem Markt weg.
Derzeit werden in deutschen Kohlekraftwerken über 800.000 Tonnen Klärschlamm, Sekundär- und Ersatzbrennstoffe verbrannt. Mit dem Kohleausstiegwerden die hochkalorischen Anteile in Zementwerke und mittelkalorische Anteile auch in die TAB umgelenkt. Die Verbrennungskapazitäten dafür sind dann vorhanden. Entscheidend ist, dass durch den Kohleausstieg große Stromerzeuger wegfallen.
Was bedeutet das für die TAB?
Natürlich sind TAB kleiner als Kraftwerke, aber sie sind über Deutschland verteilt und können als dezentrale Versorger agieren und am Strommarkt teilnehmen.
Wie genau?
Sie können Beiträge leisten zur Frequenzstabilisierung oder zum Versorgungswiederaufbau nach einem Stromausfall. Über 30 TAB in Deutschland sind derzeit für die Bereitstellung von Minutenreserven qualifiziert. Das alles sind sogenannte Systemdienstleistungen, die wichtig sind, damit Stromnetze zuverlässig funktionieren. In Industrieparks übernehmen die Anlagen heute schon klassische Versorgungsaufgaben.
Aus Anlagen zur Entsorgung werden also Versorger.
Das ist der eigentliche Paradigmenwechsel, über den bei Klimaschutz und Energiewende viel zu wenig gesprochen wird. Die Aufgaben der TAB werden sich erweitern, darauf bereitet sich die Branche vor. Es geht künftig um mehr als die reine Mengenbilanzierung: Brauchen wir noch einen größeren Kessel? Lohnt sich die Investition für die Modernisierung?
Wenn TAB zum Versorger werden, was ändert sich vor Ort?
Das hängt von den lokalen Gegebenheiten ab. Für den Bürger muss deutlich werden, dass die thermische Abfallentsorgung sinnvolle Produkte wie Strom, Wärme und künftig klimaneutrale Kraftstoffe und Energieträger wie Wasserstoff erzeugt. Ein großer Vorteil ist generell, dass Müllverbrennungsanlagen eng in die lokalen Strukturen eingebunden sind, egal, ob sie privat oder öffentlich betrieben werden.
Klimaschutz durch Müllverbrennung, das verbessert auch das Image?
Es geht weniger um das Image. Alle Branchen müssen ihren Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern insbesondere auch für die EU. Werden in der EU die Deponien für die meisten Abfälle geschlossen und wird die Abfallgesetzgebung konsequent umgesetzt, können bis 2035 etwa 150 Millionen Tonnen CO₂ vermieden werden. Um 1 Tonne CO₂ einzusparen, müssen Sie in der Abfallwirtschaft deutlich weniger investieren als bei Solarpanels oder Wärmedämmung.
Wie gelangen solche Botschaften in den politischen Raum?
Entscheidend ist, dass die Branche ihre Argumente vorträgt und deutlich macht, dass es um große Zahlen geht: bei den Abfallmengen, den wirtschaftlichen Umsätzen, den Arbeitsplätzen, aber auch bei der Rohstoffrückgewinnung und der CO₂-Einsparung. Doch leider steckt der Teufel im Detail. Es gibt beispielsweise noch ungeklärte Rechtsfragen, wenn bei standortbezogenen Projekten die Bereiche Energie oder Mobilität tangiert werden. Und wir brauchen eine Weiterentwicklung der Förderinfrastruktur. Denn Klimaschutz kostet, das gilt für Stahl und Zement, aber eben auch für die wichtige TAB.
Zur Person
Dr. Jochen Hoffmeister ist Dipl.-Ing. Raumplanung und seit 1992 bei der Prognos AG beschäftigt. Er leitet seit dem Jahr 2004 die Geschäftseinheit Wirtschaft, Energie und Infrastruktur sowie den Prognos-Standort Düsseldorf. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Beurteilung des künftigen Bedarfs an technischen Infrastrukturen vor dem Hintergrund veränderter wirtschaftlicher und demografischer Rahmenbedingungen.