Brüssel wird "grün" - CEWEP 2019

Dr. Ella Stengler berichtet über die aktuellen Klimaschutzpläne der Komission.

20 Jahre ITAD_190_IMG_1942_max_min.jpgDie Kommission will beim Klimaschutz Vollgas geben und kündigt „gewaltige Umwälzungen“ an. Was das für die Abfallwirtschaft bedeutet, berichtet Dr. Ella Stengler, Managing Director des Verbandes der europäischen Waste-to-Energy Anlagen (CEWEP). Die CEWEP repräsentiert 410 TAB in 23 Ländern. Die Anlagen machen mehr als 80 % der Waste-to-Energy-Kapazitäten in Europa aus.

Das Jahr 2019 in Brüssel war geprägt durch die Wahl eines neuen Europäischen Parlaments im Mai und die Einsetzung einer neuen Europäischen Kommission, die zum 1. Dezember ihre Arbeit aufnahm. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist mit dem ehrgeizigen Plan angetreten, Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu machen.

Dieses Ziel soll durch den europäischen „Green Deal“ umgesetzt werden, den der Niederländer Frans Timmermans als einer der drei Vizepräsidenten der Kommission verantwortet. Er muss den Fahrplan schon in der Schublade gehabt haben, denn bereits am 11. Dezember hat die Europäische Kommission in einer Mitteilung ihr Konzept für die Umsetzung des Green Deals dargelegt. Insgesamt sind rund 50 gesetzgeberische und sonstige Initiativen geplant.

Im März 2020 soll die Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 als Ziel für die EU in einem europäischen Klimagesetz verankert werden. Ein Vorschlag zur Verschärfung des Treibhausgasminderungsziels für 2030 (von derzeit 40% auf mindestens 50% mit Tendenz zu 55%) soll folgen.

Die Kommission hofft auf die Zustimmung der EU-Gesetzgeber im Rat (27 EU-Mitgliedstaaten) und im Europäischen Parlament. Während im Rat kontroverse Diskussionen (auch in Bezug auf die Finanzierung) zu erwarten sind, fordert das Europäische Parlament bereits seit Längerem eine Zielverschärfung.

Maßnahmenbündel geplant
Die Europäische Kommission kündigte die Novellierung zahlreicher EU-Gesetze an, um die zusätzlich notwendigen CO₂-Einsparungen tatsächlich zu erreichen.

Hierzu zählen unter anderem die

  • EU-Emissionshandelsrichtlinie (einschließlich einer möglichen Ausweitung auf neue Sektoren),
  • Lastenteilungsverordnung (‚effort sharing‘ umfasst auch den Abfallsektor),
  • Energieeffizienz-Richtlinie,
  • Erneuerbare-Energien-Richtlinie,
  • Energiesteuerrichtlinie.

Bestätigt hat die Europäische Kommission auch ihr Ansinnen, im Laufe des Jahres 2021 ein CO₂-Ausgleichssystem für ausgewählte Sektoren (sogenannter CO₂-Grenzausgleich, border tax) vorzuschlagen. Der Grenzausgleich zielt darauf ab, europäische Unternehmen vor unfairem Wettbewerb durch ausländische Konkurrenten mit schlechter Klimabilanz zu schützen. Es wird eine Herausforderung sein, den Grenzausgleich im Einklang mit den Regeln der Welthandelsorganisation auszugestalten.

Abfallexporte in Drittländer einschränken
Zur Förderung der Kreislaufwirtschaft wird ein weiterer Aktionsplan für März 2020 angekündigt. Er soll Initiativen zur Förderung von Recycling und Sekundärrohstoffmärkten enthalten, etwa durch Mindestrezyklatanteile in den Bereichen Verpackung, Fahrzeuge und Bauprodukte.

Nachgedacht wird über ein EU-Modell zur getrennten Abfallsammlung und weitere Maßnahmen im Bereich Einweg-Kunststoffe und Mikroplastikemissionen durch Autoreifen und Kosmetikprodukte sowie bio-basierte und biologisch abbaubare Kunststoffe. Der Aktionsplan soll zu mehr wirtschaftlicher Innovation, Wettbewerbsfähigkeit sowie gesteigerter Ressourceneffizienz beitragen. Nachhaltigkeit soll in allen EU-Politikbereichen implementiert werden – auch eine Kunststoffsteuer wird diskutiert.

Positiv hervorzuheben ist aus CEWEP-Sicht, dass die EU-Abfallverbringungsverordnung mit der Maßgabe evaluiert wird, Ressourcen in Europa zu verwerten und Exporte in Drittländer außerhalb der EU (mit möglicherweise niedrigerem Umweltstandard) zu beschränken.

Auch die Ankündigung der Kommission, den Schwerpunkt auf die einheitliche Durchsetzung des Umweltrechts in den EU-Mitgliedstaaten zu setzen, ist zu begrüßen. Dies ist zur Wahrung eines hohen Umweltschutzes und gleicher Wettbewerbsbedingungen unbedingt erforderlich.

Lauta 0113_min.jpgNovelle zur Industrie-Emissionsrichtlinie?
Des Weiteren sind Aktionspläne Saubere Luft, Sauberes Wasser und Sauberer Boden im Rahmen der sogenannten Nullverschmutzungs-Ambitionen vorgesehen. Dabei kann es auch zu einer Novellierung der EU-Industrie-Emissionsrichtlinie kommen. Aus CEWEP-Sicht ist es für eine Novellierung dieser Richtlinie noch zu früh, da das auf dieser Richtlinie basierende BVT-Merkblatt Abfallverbrennung gerade erst abgeschlossen und im Dezember 2019 veröffentlicht wurde. Erfahrungen zur Umsetzung dieses BVT Merkblatts liegen noch nicht vor. Die Behörden haben vier Jahre Zeit, die Genehmigungen an die neuen verbindlichen Regeln anzupassen. CEWEP hat hierzu mehrere Workshops durchgeführt, um die Mitglieder bei der Umsetzung des BVT-Merkblatts Abfallverbrennung zu unterstützen.

Weitere Themen, die die Europäische Kommission angekündigt hat und die CEWEP intensiv verfolgen wird, sind die Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit, die EU-Industriestrategie und die Revision der Beihilfe-Leitlinien (Umwelt und Energie).

Die für den Herbst 2020 angekündigte Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen wird CEWEP ebenfalls im Blick behalten. Das Thema nachhaltige Finanzierung nimmt eine zunehmend wichtige Rolle ein. Leider ist die Gesetzgebung zur Verordnung über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen (sogenannte Taxonomie) 2019 nicht im Sinne der Anerkennung der positiven Beiträge von Waste-to-Energy zu den Klima- und Umweltzielen der EU verlaufen.

Taxonomie nicht im Sinne des Verbandes
Die Verhandlungsführer des Rats und des Europäischen Parlaments haben sich am 16. Dezember 2019 auf die Einführung einer Taxonomie verständigt, die den Rahmen für die Entwicklung und die Anwendung einer einheitlichen Klassifizierung „nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten“ in der EU festlegt. Diese Klassifizierung soll u.a. zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens und der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen beitragen, indem Finanzströme in entsprechende Wirtschaftstätigkeiten gelenkt werden.

Die Taxonomie geht davon aus, dass eine Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft und zu Abfallvermeidung und Recycling leistet, wenn sie etwa zur Minimierung der Abfallverbrennung und -beseitigung gemäß der Abfallhierarchie beiträgt. Das ist keine optimale Formulierung, aber eine Verbesserung im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag, der die Vermeidung der Abfallverbrennung ohne Bezug zur Abfallhierarchie, der das Lebenszyklusdenken immanent ist, enthielt.

architecture-4810454 Christelle S auf Pixabay_min.jpgÄußerst unglücklich aus der Sicht von CEWEP ist das, was als erhebliche Beeinträchtigung der Umweltziele angesehen wird. Darunter wird eine Wirtschaftstätigkeit verstanden, die unter anderem „zu einer deutlichen Zunahme der Erzeugung, Verbrennung oder Beseitigung von Abfall führt“. Ausgenommen wird lediglich die Verbrennung nicht recycelbarer gefährlicher Abfälle. Das Argument, dass die energetische Verwertung auch für (kontaminierte) Abfälle, die nicht als gefährlich eingestuft werden, die nachhaltigste Option sein kann, hat sich bei den Gesetzgebern, trotz Unterstützung durch andere europäische Verbände, nicht durchgesetzt. Ebenso wenig drang das Argument durch, dass in Europa noch rund 175 Millionen Tonnen Abfälle deponiert werden und durch Recycling, zusammen mit der energetischen Verwertung, zusätzlich 150 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente jährlich eingespart werden könnten, wenn die heute noch deponierten Abfälle recycelt und verwertet würden.

Es bleibt kein Stein auf dem anderen
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Brüssel sehr ehrgeizige Ziele verfolgt und in rasantem Tempo eine enorme Menge an Aktivitäten anstößt. Es scheint kaum ein Stein auf dem anderen zu bleiben. Wird das neu entstehende Gebilde nachhaltig und solide sein?

Die Herausforderung für den Waste-to-Energy Sektor und CEWEP ist und bleibt, bei derart gewaltigen Umwälzungen Gehör zu finden und die Funktion von Waste-to-Energy als Schadstoffsenke und die Erfüllung der hygienischen Aufgaben sowie den Beitrag zum Klimaschutz anhand von Fakten zu kommunizieren, häufig im Schulterschluss mit anderen europäischen Verbänden und Unternehmen. So etwa bei der Debatte im Europäischen Parlament im Oktober 2019, in der CEWEP zusammen mit Tractebel das Konzept Waste-to-Energy anhand der mit Wasserstoff angetriebenen Stadtbusse und Abfallsammelfahrzeuge vorstellte, was bei den Abgeordneten auf großes Interesse stieß.

von: Dr. Ella Stengler
aus: ITAD-Jahrbuch 2019.