Europas Standards wirken auch in Asien
Im Sevilla-Prozess wird festgelegt, welcher Stand der Technik für Müllverbrennungsanlagen in Europa gelten soll. Markus Gleis und Carsten Spohn haben den Prozess von Anfang an begleitet.
Herr Gleis, wenn wir über einheitliche Standards für die Müllverbrennung reden: Wie unterscheiden sich die Anlagen in Europa?
Markus Gleis: Wir starten nicht bei Null, das ist ein großer Vorteil im Vergleich zu anderen Branchen. Für die thermische Abfallbehandlung gibt es in Europa schon lange gemeinsame Richtlinien, die seit 2010 in der Industrieemissions-Richtlinie zusammengefasst sind. Mit dem Sevilla-Prozess überprüfen wir, welche Parameter sich noch weiter absenken lassen. Im Detail unterscheiden sich die nationalen Lösungen allerdings immer wieder.
Können Sie Beispiele nennen?
Gleis: In Österreich stehen viele Abfallverbrennungsanlagen direkt in Wien. Deswegen hat man hier auf sehr strenge Stickoxid-Grenzwerte geachtet. Das wollen die Österreicher jetzt auf die gesamte europäische Union übertragen. Gegenüber der Industrieemissions-Richtlinie würde das eine Reduzierung der zulässigen Grenzwerte um 60% bedeuten. Nach unserer Auffassung müssen wir hier aber die unterschiedlichen Standortbedingungen berücksichtigen.
Und in Deutschland?
Gleis: Umgekehrt haben wir vor einigen Jahren entschieden, dass unsere Siedlungsabfallverbrennungsanlagen kein Abwasser aus der Abgasreinigung in den Vorfluter einleiten dürfen. Das Abwasser muss nun eingedampft werden und dann als Feststoff unter Tage gehen. Dadurch reduzieren wir die Emissionen von Chloriden und Sulfaten ins Wasser. Das ist ein nationaler Sonderweg, von dem wir aber nicht erwarten, dass ihn die anderen Mitgliedstaaten mitgehen.
Wie läuft der Sevilla-Prozess genau ab?
Carsten Spohn: Das Joint Research Centre (JRC) hat 2014 den Überarbeitungsprozess mit Einberufung der Technical Working Group (TWG) gestartet. Im weiteren Verlauf haben die Mitgliedstaaten Daten gesammelt zu den Betriebs- und Emissionswerten ihrer Müllverbrennungsanlagen. Auf der Grundlage dieser Daten hat das JRC der Europäischen Kommission einen ersten Entwurf für die BVT-Merkblätter verfasst, der dann wiederum von den Mitgliedstaaten und Verbänden kommentiert wurde. Das sind mehrere hundert Seiten Fachliteratur in englischer Sprache. Der letzte Workshop der Vertreter der Mitgliedstaaten, der europäischen Dachverbände und der Umweltverbände fand dann im Dezember 2017 statt, im Februar 2018 wurde der Final Draft vorgelegt und wird im Final Meeting Ende April 2018 möglichst abschließend in der TWG diskutiert. Nach Verabschiedung der Schlussfolgerungen aus dem BVT-Merkblätter im Artikel 75 Forum haben die Mitgliedstaaten vier Jahre Zeit, die Vorgaben in nationales Recht zu überführen.
Wo liegen die Schwierigkeiten in den Verhandlungen?
Spohn: Das JRC hat eine schwierige Aufgabe: Es muss alle Daten zusammentragen und den verschiedenen Positionen Rechnung tragen. Im Großen und Ganzen hat es diese Aufgabe gut gelöst. Natürlich hätten die Umweltverbände oft am liebsten die Superanlage, die wir liebevoll Frankensteinanlage nennen: Wir nehmen von allen Anlagen immer je nach Parameter die beste Performance und somit die beste verfügbare Rauchgasreinigungstechnik und definieren daraus eine Musteranlage. Das ist aber technisch nicht umsetzbar. Einige Anlagen sind, wenn sie zum Beispiel eine nasse Rauchgasreinigung haben, auf sehr niedrige Emissionswerte ausgelegt. Dafür haben sie einen entsprechend höheren Energiebedarf. Andere Anlagen sind auf Energieeffizienz getrimmt: Die halten die gesetzlichen Grenzwerte zwar sicher ein, aber bei einem Paramter wie NOx vielleicht nicht ganz so niedrig. Solche Cross-Media-Effekte werden oft übersehen.
Gleis: In einigen Mitgliedstaaten sind die Experten für mehrere BVT-Blätter zuständig, das ist bei der Komplexität der Themen gar nicht leistbar. Ich würde mir auch nicht zutrauen, über Geflügelhaltung zu reden. Den Leuten fehlt dann der fachliche Background und einige Diskussionen verlaufen am Thema vorbei. Problematisch ist es, wenn dann auch noch politische Ziele in die technische Diskussion einfließen, ohne dass die betreffenden Parteien die technischen Konsequenzen einschätzen können.
Welche Verhandlungspunkte waren für Sie besonders wichtig?
Gleis: Ein wichtiges Thema ist für uns die kontinuierliche Quecksilber-Messung. Wenn ich nur drei Mal im Jahr messe, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich ausgerechnet die Tage erwische, an denen jemand etwas illegal eingebracht hat.
Spohn: Bei vielen Parametern bewegen wir uns inzwischen im Bereich der Bagatellgrenzen. Zum einen müssen wir uns dann die Frage stellen, ob wir mit dem zusätzlichen Verbrauch von Reagenzprodukten und Energie nicht am Ende der Umwelt mehr schaden als nutzen, wenn wir bestimmte Werte noch weiter absenken wollen. Diese Cross-Media-Effekte sind, wie gesagt, wichtig.
Halten denn die Messverfahren noch mit den Emissionswerten mit?
Spohn: Das ist ein weiterer wichtiger Punkt: Wir haben bei zu niedrigen unteren Werten der Emissionsbandbreiten das Problem, dass es dafür gar keine ausreichend präzisen, zugelassenen Messverfahren gibt. Das betrifft viele Schadstoffe: HCI, SO2 , HF, aber auch Quecksilber. Wir bewegen uns bei vielen geforderten Werten im Grenzbereich. Wenn wir Bandbreiten zustimmen, die wir mit den vorgeschriebenen Verfahren gar nicht messen können, laufen wir Gefahr, Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu verlieren.
Unterm Strich: Wie bewerten Sie den Sevilla-Prozess?
Gleis: Er ist die einzige Möglichkeit für einen intensiven Austausch auf Fachebene mit dem Ziel, ein vernünftiges Maß zu finden zwischen dem, was die Industrie noch umsetzen kann, und dem, was ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist.
Spohn: Ich bin zuversichtlich, dass die BAT-Schlussfolgerungen die sehr gute Performance des deutschen TAB-Bestandes, der ohne Frage Stand der Technik ist, wiedergeben. Bei Anlagen in Grenzgebieten gibt es Kooperationsvereinbarungen aber auch Konkurrenzsituationen. Da ist es wichtig, dass wir in einem gemeinsamen Europa über gemeinsame Umweltstandards auf hohem Niveau reden. Das nennt man dann „level playing field“. Das ist auch wichtig für das Image der Müllverbrennung. Und wir dürfen nicht vergessen: Das, was wir als Stand der Technik für die Müllverbrennung hier in Deutschland kennen und auf europäischer Ebene beschreiben, wird auch im Nahen Osten, in Südamerika und in Australien sowie Südostasien wahrgenommen und teilweise übernommen.
Zu den Personen:
Carsten Spohn ist Geschäftsführer der ITAD. Als Vertreter der Branche hat er den Prozess fachlich begleitet und in den letzten Jahren viel Zeit in Sevilla verbracht.
Markus Gleis ist wissenschaftlicher Oberrat beim Umweltbundesamt und dort für das BVT-Merkblatt „Abfallverbrennung“ zuständig. Das Umweltbundesamt fasst als „National Focal Point“ die deutschen Positionen zusammen.
aus: ITAD-Jahrbuch 2017.