Beschluss des Bundesrats mit fatalen Folgen

Styropor- und andere Dämmplatten: Wie der Bundesrat die Entsorgung von Dämmplatten erschwerte und die Länder die Situation gerettet haben.

Im Herbst 2016 machte plötzlich HBCD (Hexabromcyclododecan) Furore. Das Flammschutzmittel wird unter anderem in Dämmplatten aus Polystyrol („Styropor“) eingesetzt. Zuvor wurden HBCD-haltige Dämmplatten mit anderen Bauabfällen als gemischter Bauabfall erfasst und gemeinsam verbrannt. Das heizwertreiche Polystyrol wurde energetisch verwertet und das HBCD bei der Verbrennung in der Müllverbrennungsanlage schadlos vernichtet.

Der Bundesrat hatte im November 2015 im Rahmen der Novelle der Abfallverzeichnisverordnung (AVV) eine dynamische Verlinkung zur europäischen POP-Verordnung (persistent organic pollutants) in die AVV eingebracht. Danach galten automatisch sämtliche Abfälle, bei denen mindestens eine der in Anhang IV genannten Konzentrationsgrenzen für POP erreicht oder überschritten wird, als gefährlich. Ab Oktober 2016 waren auch HBCD-haltige Dämmstoffe ab einer Konzentrationsgrenze von 1.000 Milligramm je Kilogramm als gefährlich einzustufen. Sie mussten sodann bereits an der Anfallstelle getrennt erfasst werden (Vermischungsverbot), um sie anschließend einem speziellen Entsorgungsweg zuzuführen. HBCD unterlag zudem strengen Nachweispflichten.

Ein Mann dämmt mit Styropor.Entscheidung mit fatalen Folgen

Schnell wurden die fatalen Folgen der Entscheidung des Bundesrats, insbesondere für die Dachdeckerbetriebe, klar. Die Annahme von Monochargen stellte viele MVAs vor erhebliche Probleme. Denn der Heizwert von Polystyrol ist mit fast 40 Megajoul pro Kilogramm etwa viermal so hoch wie der von gemischtem Siedlungsabfall. Auf einen derart hohen Heizwert sind MVAs nicht ausgelegt.

Die geänderte abfallrechtliche Einstufung als gefährlicher Abfall führte dazu, dass viele Dachdecker- sowie kleinere Bau- oder Malerbetriebe ihre Dämmplatten nicht mehr wie gewohnt bei den Sortieranlagen anliefern konnten, da diese nicht für die Behandlung von gefährlichen Abfällen genehmigt waren. Auch eine unmittelbare Anlieferung bei den MVAs war technisch (aus oben genannten Gründen) oder aber genehmigungsrechtlich nicht oder nur bedingt möglich. Eine Änderung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung kam aufgrund der hohen Kosten und des erheblichen Aufwandes für viele Anlagenbetreiber nicht in Betracht.

Vom Moratorium zur Dauerlösung

Trotz Gegensteuern der Länder durch Erlasse entspannte sich die Lage nicht. Auf den Baustellen bestand meist kein Potential für eine Vermischung mit anderen Bauabfällen. In den Sortieranlagen war eine Vermischung von gefährlichen mit nicht gefährlichen Abfällen unzulässig. Um Zeit für eine praktikable Lösung zu gewinnen, wurde ein Moratorium verabschiedet und die Einstufung von HBCD-haltigen Abfällen als gefährlich übergangsweise bis zum 30. Dezember 2017 ausgesetzt.

Am 1. August 2017 trat die Verordnung über die Getrenntsammlung und Überwachung von nicht gefährlichen Abfällen mit persistenten organischen Schadstoffen (POP-Abfall-ÜberwV) in Kraft. Sie soll dauerhaft zu einer Lösung führen, indem einerseits die Systematik der Einstufung von POP-haltigen Abfällen als gefährliche Abfälle auf das EU-rechtlich gebotene Maß zurückgeführt wird und andererseits die Einhaltung der Anforderungen an eine getrennte Sammlung und eine angemessene Überwachung der Entsorgung sichergestellt wird.

Definition POP-haltige Abfälle

POP-haltige Abfälle im Sinne der Verordnung werden in § 2 Nr. 1 a)– d) definiert. Insbesondere muss mindestens eine der in der europäischen POP-Verordnung genannten Konzentrationsgrenzen erreicht oder überschritten werden (b).

Im Einzelfall kann die Feststellung der Konzentrationsgrenzen schwierig sein. Als Hilfestellung enthalten aktuelle Länder-Erlasse Ansätze zur Bestimmung der Konzentrationsgrenzen. Hessen kommuniziert etwa eine Konzentrationsgrenze von 0,5 Kubikmeter HBCD/Tonne Baumischabfall; Niedersachsen 25 Volumenprozent; NRW und Brandenburg verweisen auf die Konzentrationsgrenze von 1.000 Milligramm HBCD/kg.

Weiterhin müssen die als nicht gefährlich nach AVV eingestuften Abfälle (c) zu einer der abschließend aufgezählten Abfallarten (d) gehören. Besonders relevant für Vorbehandlungsanlagen und MVA sind etwa (e) ASN 17 06 04 (Dämmmaterial) oder (f) 17 09 04 (gemischter Bauabfall).

Getrenntsammlung und Vermischungsverbot

3 normiert in Anlehnung an § 9 KrWG ein grundsätzliches Gebot der getrennten Sammlung und Beförderung (Abs. 1) sowie ein Vermischungsverbot (Abs. 2). Im Hinblick auf das Vermischungsverbot werden gemäß Abs. 3 aber ausdrücklich Ausnahmen zugelassen, um die bisher in der Praxis bewährte und für eine energetische Verwertung in den MVAs erforderliche Vermischung von HBCD-haltigen Dämmstoffen mit anderen Abfällen nicht zu gefährden.

Durch den Verweis auf § 7 Abs. 4 KrWG steht die Getrenntsammlungspflicht unter dem Vorbehalt der technischen Möglichkeit (unmöglich kann es sein, wenn beispielsweise kein Platz für Container vorhanden ist) und der wirtschaftlichen Zumutbarkeit (unzumutbar bei sehr geringer Menge POP-haltiger Abfälle oder hohem Verschmutzungsgrad).

Gemäß § 3 Abs. 2 ist das Vermischen, einschließlich der Verdünnung von POP-haltigen Abfällen mit anderen Abfällen, Stoffen oder Materialien grundsätzlich unzulässig. Die systematische Mischung mit dem Ziel der Verbrennung der Abfälle ist dagegen zulässig und wird in § 3 Abs. 3 ausdrücklich geregelt:

  • Vermischung erfolgt in einer hierfür zugelassenen Anlage;
  • es muss sichergestellt sein, dass das gesamte entstehende Gemisch ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder gemeinwohlverträglich beseitigt wird.

Das Vermischungsverfahren entspricht dem Stand der Technik (Definition gemäß § 3 Abs. 28 KrWG). Die Nachweispflichten des § 4 orientieren sich an der Nachweisverordnung (Teile 2 bis 4 mit Ausnahme von der 20-Tonnen-Begrenzung je ASN und Kalenderjahr beim Sammelentsorgungsnachweis) und umfassen die Vorab- sowie die Verbleibskontrolle. In der Regel wird ein Sammelentsorgungsnachweisverfahren möglich sein. Verpflichtete sind Erzeuger, Besitzer, Sammler, Beförderer und Entsorger von POP-haltigen Abfällen (§ 4 Abs. 1). Der Nachweis muss sowohl gegenüber der zuständigen Behörde als auch untereinander erfolgen.

Die Registerpflichten des § 5 gelten nicht für Entsorger – diese sind schon nach § 49 KrWG registerpflichtig.

Ein Mann dämmt mit Styropor.Kritik an Referentenentwurf

Die für Verbrenner und Recycler wichtigste Ausnahme von der Nachweispflicht ist laut § 4 Abs. 2 für die Entsorgung POP-haltiger Abfälle in eigenen Entsorgungsanlagen des Erzeugers oder Besitzers. Wie die ITAD bereits zum Referentenentwurf kritisiert hatte, erfasst die Definition der eigenen Entsorgungsanlage laut Verordnungsbegründung nur Allein- oder Miteigentum. Dies ist für die Unternehmenspraxis zu eng gefasst. Eine entsprechende Privilegierung sollte auch für Mutter-Tochter, Tochter-Tochter oder Schwester-Schwester-Konstellationen im Unternehmensverbund gelten (gesellschaftsrechtliche Verbindung zur Abfallentsorgungsanlage). Zudem muss ein enger räumlicher und betrieblicher Zusammenhang der Entsorgungsanlage mit der Anfallstelle bestehen. Diese Verbindung darf nicht zu eng ausgelegt werden. Dasselbe Stadtgebiet sollte für den engen räumlichen Zusammenhang ausreichen.

Vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen die Nachweis- und Registerpflichten stellen Ordnungswidrigkeiten nach § 6 dar und können mit Geldbußen bis zu 10.000 Euro geahndet werden (§ 69 Abs. 2 Nr. 15 KrWG).

Entwicklung 2018

Bis zum Frühjahr 2018 sind kaum HBCD-Monofraktionen in den Entsorgungsmarkt gedrungen, den Hauptteil machen Baumischabfälle mit Polystyrolanteilen aus. Auch die Abfallmenge ist niedriger als erwartet. Neueste Exekutiv-Maßnahmen wurden in Rheinland-Pfalz und NRW umgesetzt. In RLP hatte die Sonderabfall-Management Gesellschaft per Allgemeinverfügung Erleichterungen für Bau-/Handwerksbetriebe bei der Nachweispflicht geschaffen. In NRW erleichtert eine Allgemeinverfügung vom Februar 2018 die Sammelentsorgung. Die Dienstleister werden teilweise von der Nachweispflicht befreit. Der Nachweis erfolgt stattdessen durch den Übernahmeschein bei Selbstanlieferung/Zwischenablagerung auf dem eigenen Gelände. Für Entsorgungsanlagen entsteht kein nennenswerter Mehraufwand.

Die Autoren:

Sarah Richter-Busch ist AVG-Juristin im Stabsbereich „Recht und Compliance“

Andreas Freund ist Geschäftsführer der AVG Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft Köln mbH (AVG Köln)

aus: ITAD-Jahrbuch 2017.