„Es war Liebe auf den ersten Blick“

Werbefotograf Michael Ricks setzt Fundstücke aus dem Wertstoffalltag in Szene.

Gabel, Messer, Löffel.Ein lädierter Wäschekorb, eine krumme Stoßstange und eine Sammlung Altholz: 2021 hatte Werbefoto­graf Michael Ricks ungewöhnliche Gäste im Fotostu­dio. Gemeinsam mit Cornelia Bothen vom Abfallent­sorgungszentrum Asdonkshof (AEZ) entstand die Idee, Fundstücke aus dem Wertstoffalltag für den Kalender „RAW&Beauty“ in Szene zu setzen.

Herr Ricks, was hat Sie als Werbefotograf am Fotografieren von scheinbar Wertlosem fasziniert?

Ricks: Wenn man mit offenem Blick durch das Entsorgungszen­trum läuft, eröffnet sich eine eigene Welt aus Formen, Oberflä­chen und Strukturen. Man erkennt plötzlich Schönheit in Din­gen, die andere Menschen längst abgeschrieben haben. Bei den verrosteten Metallgegenständen, die aus der Schlacke heraus­gefiltert werden, war es Liebe auf den ersten Blick. Die faszi­nierten mich und ich wollte mehr daraus machen.

Sonst sind Ihre Models weniger verrostet und verbraucht. Was ha­ben Sie von Ihren kaputten Models gelernt?

Ricks: Dass man auch kaputt noch gut aussehen kann. [lacht] Nein, das war mir schon immer klar. Sonst arbeiten wir mit na­gelneuen Produkten, die originalverpackt und produktionsfrisch zu uns ins Studio kommen. Da darf kein Stäubchen drauf sein, kein Kratzer. Die Dinge im Entsorgungszentrum hatten dagegen schon ein Leben. Davon übrig geblieben sind Macken und Problemstellen. Und diese Lebensgeschichte in den Vordergrund zu rücken, machte die Arbeit damit besonders.

Frau Bothen, Sie sind an Ihrer Arbeitsstelle ständig von Abfall um­geben. Hat sich Ihr Blick auf die Materialien durch das Projekt noch mal verändert?

Bothen: Auf jeden Fall. Wenn ich mit Besuchergruppen durch die Schlackenaufbereitungsanlage gehe, sehen wir auf den ersten Blick vielleicht nur einen verrosteten Haufen. Dass es sich dabei um Wertstoffe handelt, die wir für das Recycling in den Kreis­lauf zurückführen – das ist erklärungsbedürftig. Herr Ricks war sofort von den Materialien fasziniert. Schon beim ersten Besuch hat er darum gebeten, diese Materialien näher in Augenschein nehmen zu dürfen.

Ricks: Das erste, was ich mitgenom­men habe, sah aus wie ein Oreo-Keks. Es war wahrscheinlich mal ein Kugel­lager. Und von solchen Dingen gab es ganz viele im Container – ich hätte noch Stunden da verbringen können. Nach dem Besuch war ich angefixt. Und zum ursprünglichen Auftrag, Drohnenfotos vom AEZ Asdonkshof zu machen, ist noch die gemeinsame Idee vom Kalender hinzugekommen. Vom großen Ganzen zu den kleinen Details sozusagen.

Grüne Stoßstange vor rotem Hintergrund.Wie war die Zusammenarbeit in den bei­den Welten Wertstoff und Werbefotogra­fie?

Ricks: Für mich war es eine schöne Zu­sammenarbeit. Mitarbeiter, die sonst auf ihren Radladern sitzen und die ordnungsgemäße Entsorgung über­wachen, haben mir beim Raussuchen der Motive geholfen. Sie fanden es erst mal witzig, dass da jemand kommt und schöne Plastikteile sucht. Dann sind sie in die Container geklettert, in die ich nicht reindurfte, haben Sachen hochgehalten und gefragt: Ist das schön?

Bothen: Meine Kollegen haben nichts unversucht gelassen, passende Sa­chen für Herrn Ricks zu finden. Zu­nächst dachten sie natürlich, dass es dabei um besonders gut erhaltene, eben „schöne“ Dinge gehen sollte. Umso größer war am Ende die positive Überraschung über das Ergebnis – das gilt übrigens auch für mich. Denn Herr Ricks hat die Materialien ja richtigge­hend inszeniert. Bei vielen Sachen er­kennt man erst auf den zweiten oder dritten Blick, worum es sich handelt.

Ricks: Ich habe dann Kombi-Ladungen voll Wertstoff mit nach Hause genom­men, um die Motive in meinem Studio zu fotografieren. Irgendwann war die Garage voll. Aber anschließend durfte ich alles wieder zurückbringen.

Mit welcher Technik haben Sie fotogra­fiert?

Ricks: Einige Motive haben wir mit sehr alter Analogtechnik fotografiert, die schon so 30 bis 40 Jahre auf dem Bu­ckel haben müsste. Teilweise haben wir auch 15 Jahre alte Filmmaterialien ver­wendet, die wir noch im Kühlschrank hatten. Die werden gar nicht mehr pro­duziert. Das noch zu nutzen und auch der alten Fototechnik nochmal eine Wertschätzung angedeihen zu lassen, ist für mich nachhaltig. Das Ergebnis sind echte Unikate.

Was hat der Kalender für Sie mit Nachhal­tigkeit zu tun?

Ricks: Die Aufgabe des Entsorgungs­zentrums ist von Grund auf nachhaltig: Es kümmert sich darum, dass aus Müll wieder wichtige Wertstoffe werden. Ich hoffe, dass wir dafür sensibilisie­ren können, was alles weggeschmis­sen wird. Und dass das, was man wegschmeißen möchte, ordentlich entsorgt werden muss, um es gegebe­nenfalls noch verwerten zu können.

Bothen: Das spannende am Thema Abfall ist ja, dass jeder damit zu tun hat. Es erstaunt mich immer wieder, wie viele Mythen nach wie vor zu dem Thema im Umlauf sind. Ein Klassiker: Mülltrennung lohnt nicht, denn am Ende wird ja sowieso alles zusammen­geschmissen und nutzlos verbrannt. Trotzdem gilt: Die Aufmerksamkeit für Themen wie Umwelt, Klimaschutz und Nachhaltigkeit ist durch aktuelle Be­wegungen wie Fridays for Future oder Zero Waste größer geworden. Das hat dafür gesorgt, dass wir endlich aus der „Schmuddelecke“ herausgekom­men sind. Denn die Abfallwirtschaft ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.

Ein kupferfarbener Kreis vom Wertstoffhof.Zu den Personen

Michael Ricks fotografiert seit 40 Jahren, seit 23 digital. Als Industrie- und Werbefotograf ist er in den Bereichen Produkt, Architektur, Food und People zu Hause und zeigt das auch auf ricks-photo.com.

Cornelia Bothen ist zuständig für die Presse- und Öffentlichkeits­arbeit am Abfallentsorgungszentrum Asdonkshof in Kamp-Lintfort. Zu ihren Aufgaben gehören unter anderem Besucherführungen und die Zertifizierung des Asdonkshof nach dem Deutschen Nachhaltig­keitskodex (DNK).

aus: ITAD-Jahrbuch 2021