Das Finetuning ist noch nicht abgeschlossen

Ein Blick auf die Klärschlamm-Verbrennung in den Bundesländern.

Viel Zustimmung und ein genauer Blick auf die Abfallströme: Während die Baugruben für die ersten neuen Anlagen zur Klärschlamm-Verbrennung ausgehoben werden, bewegt die Branche der Einfluss des Kohleausstiegs und die Frage nach dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage in den einzelnen Bundesländern.

Ein TortendiagrammAm Ende ging es ziemlich flott in Büddenstedt: Nur gut eineinhalb Jahre nach dem Beschluss der EEW Zentrale in Helmstedt kamen Ende Januar 2020 die Verantwortlichen des Unternehmens und die politischen Entscheidungsträger zum symbolischen Spatenstich für die neue Klärschlammverbrennung zusammen – im Schatten der Abfallverbrennungsanlage TRV Buschhaus.

Die Regionalmedien waren regelrecht begeistert: „Mit dem Startschuss für die erste Klärschlamm-Monoverbrennungsanlage (KVA) in Niedersachsen am alten Energie-Standort Buschhaus keimt Hoffnung auf im ehemaligen Helmstedter Braunkohlerevier“, schreibt die Braunschweiger Zeitung und verkündet euphorisch: „In Helmstedt kann zukunftsfähige Technik entstehen. Der Standort hat es drauf.“

„Energieerzeugung aus Abfall ist aktiver Umweltschutz“, erklärt auch Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies gegenüber der ITAD. Mit dem Klärschlamm würde neben den vorhandenen drei Verbrennungslinien, die bereits Strom für circa 81.000 Haushalte lieferten, „ein weiterer Energieträger aus Abfall erschlossen“. Damit löse die „Ressource Abfall den fossilen Energieträger Kohle“ im Helmstedter Revier zunehmend ab.

Der Ausbau der Klärschlammverbrennung entwickelt sich angesichts der Vorgaben der Klärschlammverordnung und des novellierten Düngerechts dynamisch. Spätestens 2029 (für kleinere Klärwerke 2032) darf kein Klärschlamm mehr als Dünger auf landwirtschaftlichen Äckern ausgebracht werden. Es zeichnet sich ab: Nur durch die thermische Vorstufe können die Phosphate aus dem Klärschlamm zurückgeholt und nutzbar gemacht werden.

Kohleausstieg reduziert Mitverbrennung

„Die Klärschlamm-Monoverbrennung ist gerade auch am Standort bestehender thermischer Behandlungsanlagen sinnvoll“, erklärt ITAD-Geschäftsführer Carsten Spohn. Neben den Anforderungen der Klärschlammverordnung spielt aktuell auch die geplante Abschaltung von Kohlekraftwerken eine zentrale Rolle. „Der Ausstieg aus der Braun- und Steinkohle bedeutet automatisch auch eine Verringerung der Mitverbrennungskapazität“, betont Spohn.

In welchem Umfang neue KVA gebaut werden, darüber entscheidet der Markt. Der Anfall an Klärschlamm aus der öffentlichen Abwasserbehandlung betrug 2018 fast 1,75 Millionen Tonnen Trockensubstanz (TS). Davon wurden etwa drei Viertel thermisch verwertet (siehe Grafik „Anteil der Verbrennung an Klärschlammverwertung steigt“), auch in den derzeit rund 20 Anlagen zur Monoverbrennung von Klärschlamm. Gemeinsam haben diese Anlagen eine theoretische Kapazität von jährlich 668.000 Tonnen Trockensubstanz (t TS/a). Tatsächlich verfügbar sind davon knapp 500.000 t TS/a. Durch Sanierung mit teilweisem Neubau und Verdrängung anderer Abfälle wie industriellen Klärschlämmen soll die Kapazität in den nächsten Jahren um rund 143.000 t TS/a steigen.

Genehmigung in Bielefeld

Vor Ort tut sich einiges: In Bielefeld hat die Interargem inzwischen die erste Teilgenehmigung für den Bau und Betrieb einer Monoverbrennung erhalten, geplant ist ein stationäres Wirbelschichtverfahren. Die Anlage soll ab 2023 etwa 35.000 Tonnen Klärschlamm Trockensubstanz pro Jahr verbrennen. Die dabei produzierte Energie decke den Eigenbedarf für die Vortrocknung und liefere noch einen Überschuss von rund 6.000 Megawattstunden Strom pro Tonnen Klärschlamm fielen 2016 bundesweit an 64.000 Jahr (MWh/a) sowie 27.000 MWh Fernwärme, heißt es. Etwa 14.000 Tonnen Asche könnten anschließend verwertet werden. Auch hier gab es – wie in Helmstedt – keine größeren öffentlichen Proteste gegen das Projekt.

Der Zweckverband Abfallverwertung Südhessen (ZAS) prüft den Bau einer Anlage im Rahmen einer Machbarkeitsstudie zu „Monoklärschlammverbrennung mit Phosphorrecycling“, teilte Ende Januar 2020 Dr. Julia Klinger von der Entega AG (Geschäfts- und Betriebsführer der ZAS) mit. An zwei potenziellen Standorten soll die Realisierbarkeit von drei verschiedenen thermischen Techniken (Wirbelschichtfeuerung, Drehrohrofen und Hydrothermale Karbonisierung) untersucht werden. Darüber hinaus werde die Phosphorrückgewinnung aus der Klärschlammasche untersucht. Eine „zentrale Lösung für Südhessen“ für eine Klärschlammverwertung, die regional, zukunftsfähig und entsorgungssicher ist, forderte der Landrat und ZAS-Verbandsvorsitzende Klaus Peter Schellhaas.

Kommen noch 30 KVA?

Ein BalkendiagrammNach Schätzung der ITAD sind Anfang 2020 noch bis zu 30 neue KVA geplant und in Genehmigung. Einige ITAD-Mitglieder werden an ihren TAB eine KVA bauen und die vorhandenen Synergien von der Logistik bis zur Abgasreinigung nutzen: Dazu zählen neben der EEW-Anlage in Helmstedt auch die geplante Anlage des RBB Böblingen.

Am „Restmüllheizkraftwerk Böblingen“ wollen mehr als 60 Kommunen bis 2026 eine Anlage mit einer Kapazität von 184.000 Tonnen (TS) pro Jahr errichten. Auch in Kiel, Mannheim, Kamp-Lintfort, Offenbach und Stapelfeld planen ITAD-Mitglieder eine KVA. Lediglich die Überlegungen für eine neue Anlage in Bonn wurden vorerst wieder eingestellt.

Mit den ITAD-Gastmitgliedern „KVA Stuttgart“ und „KVA Wupperverband“ werden die ITAD-Mitglieder in Zukunft voraussichtlich über 300.000 t TS/a Klärschlamm separat verbrennen. Und bis zum Ablauf der Übergangsfristen der Klärschlammverordnung 2029 und 2032 auch einen erheblichen Teil in der TAB mitverbrennen.

„Der Neubau von KVA hängt aber immer noch von vielen Faktoren ab“, erklärt Carsten Spohn. „Die ITAD engagiert sich weiterhin für die Interessen der Betreiber von KVA, etwa beim Gesetzgebungsverfahren zur 17. BImSchV, beim Treibhausgas- und BrennstoffEmissionshandelsgesetz.“

Deutliche Unterschiede in den Bundesländern

Zu den Unsicherheitsfaktoren im Markt gehören neben diesen Gesetzesvorhaben und den Auswirkungen des Kohleausstiegs auch die Klärschlämme aus der Industrie. Während die kommunalen und öffentlichen Mengen gut dokumentiert sind, ist die Datenlage hier weniger zufriedenstellend. Die industriellen Klärschlammmengen werden von Destatis nur alle drei Jahre erhoben, die letzte Erfassung stammt von 2016. Danach stand 2016 einer Menge von 1,77 Millionen Tonnen „öffentlichem“ Klärschlamm ein Aufkommen von 1,26 Millionen Tonnen aus der Industrie gegenüber. Wie viele von diesen Klärschlämmen künftig ebenfalls den Behandlungsweg in die Monoverbrennung gehen werden, lässt sich nur schwer prognostizieren. „Im Detail sind hier viele Fragen offen. Das Finetuning bei der künftigen Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlämmen ist noch nicht abgeschlossen“, sagt Spohn.

aus: ITAD-Jahrbuch 2019.