Klimaschutz gibt die Richtung vor

TAB als Teil einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft.

Mit grünem Wasserstoff, der Erneuerung der in die Jahre gekommenen Anlagen und mehr Einsatz für Abfallvermeidung und Verwertung: So sehen ITAD-Mitglieder ihre Rolle als Teil einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft.

Das war knapp. Bei dem umkämpften "Gesetz zur Weiterentwicklung der Treibhausgasminderungsquote" konnte ITAD sich zusammen mit anderen Verbänden im letzten Moment damit durchsetzen, dass auch Wasserstoff aus dem biogenen Anteil des Abfalls als „grün“ anerkannt wird. Hätte der Bundestag anders entschieden, wäre es das „Aus für zahlreiche Wasserstoff-Projekte im Bereich der thermischen Abfallbehandlung“ gewesen, kommentierte der EUWID. Damit wäre eine wichtige Perspektive für die thermische Abfallbehandlung der Zukunft abgeschnitten worden.

Ein Baum auf einer grünen Wiese.„Wir haben darauf hingewiesen, dass der Abfall zur Hälfte aus organischen Reststoffen besteht, die energetisch genutzt werden müssen“, erklärt ITAD-Geschäftsführer Carsten Spohn. Konflikte wie bei der Wasserstofferzeugung mit Energie aus Pflanzen und Früchten aus der Landwirtschaft gibt es hier nicht.

Die Argumente haben gewirkt. Am 20. Mai hat der Bundestag das Tor zu Wasserstoffaus-Abfall ein Stück weiter aufgemacht. „ITAD hat uns hier massiv unterstützt“, sagt Willy Görtz, Leiter des Wasserstoffprojektes bei der Wuppertaler Abfallwirtschaftsgesellschaft (AWG). Bei der AWG läuft der Elektrolyseur mit dem Strom aus dem Müllheizkraftwerk schon seit Juni 2020. Seitdem hat die AWG rund 18 Tonnen Wasserstoff produziert und damit elf Busse des öffentlichen Nahverkehrs versorgt. Die Lieferung von neun weiteren Bussen findet noch im Jahr 2021 statt.

TAB-to-H2: neue Wasserstoffprojekte

Spätestens seit dem Beschluss der Bundesregierung werden nun immer mehr Wasserstoffprojekte in der Abfallwirtschaft unter den Hashtags #wastetowheel oder #vondertonneindentank bekannt. Die Gespräche von ITAD in der Branche zeigen, dass sich inzwischen rund zwei Drittel der Mitglieder intensiv mit der Machbarkeit des Baus von Elektrolyseuren für Wasserstoff an ihren Anlagen beschäftigen.

„Wir haben im September die erforderlichen Unterlagen für den Start des Genehmigungsverfahrens bei der Bezirksregierung Münster eingereicht“, sagt Wolfgang Best-Theuerkauf, zuständig für die Genehmigung der AGR AbfallentsorgungsGesellschaft Ruhrgebiet mbH (AGR) in Herten. Bis Ende 2022 sollen eine Wasserstoffproduktion mit einer Jahreskapazität von 440 Tonnen und eine HochleistungsWasserstofftankstelle entstehen. Die Tankstelle soll im Minutentakt LKW, Busse und insbesondere eigene Abfallfahrzeuge mit 350 und 700 bar Wasserstoff befüllen.

„Thermische Abfallbehandlungsanlagen bieten beste Voraussetzungen für die Implementierung dieser Technik zur Dekarbonisierung von Logistik: Abfallsammelfahrzeuge liefern Abfall mit biogenem Anteil, der energetisch zur WasserstoffErzeugung genutzt wird, und tanken anschließend diesen grünen Wasserstoff“, ist AGR-Vorstand Joachim Ronge überzeugt.

So oder so ähnlich klingt es jetzt landauf und landab: In Krefeld wollen die Stadtwerke SWK , dass „ab 2024 die ersten Busse sowie Abfallsammelfahrzeuge durch Krefeld fahren, die mit selbst hergestelltem Wasserstoff fahren“. Auf dem Gelände der Stadtwerke-Tochter Entsorgungsgesellschaft Krefeld (EGK) soll der Elektrolyseur mit dem Strom aus der thermischen Abfallbehandlung betrieben werden. Die EGK ist wie die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) dabei Mitglied der „H2-Allianz: Die Erzeuger“. Im Rahmen der „Kompetenzregion Wasserstoff Düssel.Rhein.Wupper“ haben sich sechs Betreiber von Müllverbrennungsanlagen zusammengeschlossen, um bis 2030 mindestens sechs Megawatt Elektrolysekapazität zu installieren. Mit einer Produktion von 600 Tonnen Wasserstoff pro Jahr soll ein Zehntel des in der Region benötigten H2 erzeugt werden. Das „Rückgrat“ sollen dabei die Müllheizkraftwerke sein.

Auch das MHKW Frankfurt prüft im Rahmen der Studie #MH2Regio, ob ein Elektrolyseur zur Erzeugung von Wasserstoff am Müllheizkraftwerk für die Region eine sinnvolle Ergänzung wäre. Ebenso der Zweckverband Müllverwertung Schwandorf (ZMS), der aktuell in die Jahre gekommene Verbrennungslinien erneuert und für die Zukunft die Produktion von Wasserstoff im Hinterkopf hat.

„Die Abfallbehandlungsanlagen bieten gute Voraussetzungen für die Wasserstoffherstellung und die Nutzung im kommunalen Umfeld“, sagt Dr. Wolfram Dietz vom bifa Umweltinstitut in Augsburg. Für das Umweltbundesamt untersucht das bifa-Institut zur Zeit die Potenziale der Abfallbehandlungsanlagen für die Sektorkopplung. Die grundlegende Frage sei, ob Anlagenbetreiber den Strom, den sie bislang ins Netz einspeisen, stattdessen zur Herstellung von Wasserstoff, Methan oder Methanol nutzen sollten. Unter aktuellen Randbedingungen dürfte dies in der Regel wirtschaftlich nachteilig sein, so Dietz. Allerdings dürften sich die Erlösmöglichkeiten verbessern und die Kosten z.B. von Elektrolyseuren sinken. Damit seien zukünftig wirtschaftliche Vorzüge durch die Herstellung von Wasserstoff und Methanol abzusehen. Eine ähnliche Umkehr ins Positive sei für die Klimagasemissionen zu erwarten: Solange von thermischen Behandlungsanlagen nicht eingespeister Strom im Netz zum Teil durch Fossilkraftwerke kompensiert werden muss, resultiere für den Klimaschutz kein Gewinn. Mit zunehmend klimaneutral erzeugtem Strom im Netz verschiebe sich der Stromeinsatz für die Sektorenkopplung ins ökologisch Vorteilhafte. Zukünftig könnten PtX-Verfahren an Thermischen Abfallbehandlungsanlagen daher eine interessante Option werden, so Dietz.

Eine große schwarze Tonne mit zu viel MüllDer Abfall wird kaum weniger

Dass der thermischen Abfallbehandlung langfristig der Abfall ausgeht, ist trotz aller Bekenntnisse zur abfallfreien Gesellschaft nicht zu erwarten. Trotz der umfangreichen politischen Bemühungen sähe man keine Anzeichen dafür, dass der Anteil des Recyclings in diesen Abfallgruppen sprunghaft ansteigen oder dass die Abfallvermeidung das Abfallaufkommen massiv mindern werde, hieß es 2020 bei der Vorstellung der von ITAD mit in Auftrag gegebenen Prognos-Studie „Perspektiven der thermischen Abfallbehandlung – Roadmap 2040“.

Das liegt vor allem an der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung. Die zunehmende Zahl der Single-Haushalte treibt das Abfallaufkommen nach oben. Sie erzeugen im Schnitt 70 bis 80 % mehr Abfall als ein Zweipersonenhaushalt. Das Restabfallaufkommen aus Haushalten wird bis 2040 nach der Studie um 4 Kilogramm pro Einwohner und Jahr steigen – eine Entwicklung, die durch den Bevölkerungsrückgang lediglich ausgeglichen wird. Wenn sich die Produktions- und Konsummuster nicht deutlich ändern, wird das thermisch zu behandelnde Abfallaufkommen bis 2040 auf 36,8 Millionen Tonnen (Mio. t) ansteigen. Zum Vergleich: 2017 waren es noch 34,5 Mio. t, also 2,3 Mio. t weniger. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Studie Waste-to-energy 2030 des Bremer Marktforschungsinstituts trend:research.

Zentrale Rolle der TAB

Die Experten von Prognos haben auch analysiert, wie sich Deutschland- und EU-weite Verordnungen und Gesetze auf die thermisch zu behandelnden Abfallmengen auswirken könnten. Werden das Verpackungsgesetz (VerpackG), die Gewerbeabfallverordnung (GewAbfV), die getrennte Erfassung von Bioabfällen und das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) stringenter und erfolgreicher umgesetzt und wird mehr recycelt, dann sänke auch die zu verbrennende Abfallmenge. Tatsächlich würden bis 2040 dann laut Prognose 4,7 bis 6,3 Mio. t an bisher thermisch behandelten Abfällen in die Verwertung verlagert. Damit sänke die Abfallmenge im Vergleich zu 2017 bis 2040 insgesamt um 4 Mio. t. auf rund 32,8 Mio. t. Der Naturschutzbund Deutschland kommt hier in einem höchst ambitionierten Szenario von 2019 zu deutlich weniger Restmüll, räumt der thermischen Abfallbehandlung dabei aber eine wichtige und dauerhafte Rolle ein: „Müllverbrennung hat ihre Berechtigung, bei der Behandlung von Abfällen, für die es keine besseren Verwertungswege gibt“.

Egal, wie sehr sich die Abfallwirtschaft und die Gesellschaft um mehr Recycling und Abfallvermeidung bemühen – Deutschland wird auch 2040 keine Zero-Waste-Gesellschaft sein. „Deshalb müssen wir das Beste aus Abfall machen, ihn sicher behandeln und ihn so weit wie es geht, stofflich und energetisch nutzen“, sagt Carsten Spohn.

Neben der Einspeisung von Wärme und Strom in die Netze plant die Branche die Produktion von Wasserstoff mit Überschussstrom an ihren Standorten.

aus: ITAD-Jahrbuch 2020.